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Wie ist es um das Schreiben im Zeitalter der neuen Medien bestellt? Finden sich in Deutschaufsätzen Schreibweisen, die aus der privaten Internet- und SMS-Kommunikation stammen könnten? Tatsächlich ist es ja so, dass Jugendliche in ihrer Freizeit viel mehr schreiben, als sie es noch vor 20 Jahren getan haben. Ob sie mit Kollegen chatten, E-Mails verfassen, ihr Profil auf Facebook aktualisieren: Sie schreiben. Schnell drängt sich angesichts dieser Situation die Frage auf, welche Auswirkungen dieses Schreiben hat. Schreiben die Jugendlichen besser, weil sie mehr schreiben? Oder besteht die Gefahr, dass sich bestimmte Schreibweisen verfestigen, also auch dann auftreten, wenn die Jugendlichen gar keine privaten Nachrichten verfassen (z.B. Smileys)?
In der Wissenschaft herrscht die Auffassung vor, dass die meisten Jugendlichen durchaus zu unterscheiden wissen, in welchem Kontext sie schreiben, dass sie also, zugespitzt gesagt, keineswegs eine SMS an eine Freundin im gleichen Stil verfassen wie einen Deutschaufsatz. Das leuchtet unmittelbar ein, allerdings könnten sich ja trotzdem gewisse „Kontaktphänomene” zeigen. Will man das überprüfen, muss man zunächst klären, von welchen typischen Merkmalen überhaupt die Rede ist, wenn es um das Schreiben in den neuen Medien geht.
Grundsätzlich ist hier zu unterscheiden zwischen Merkmalen, die auf der orthographischen Ebene liegen, und solchen, die den Sprachgebrauch selbst betreffen. So ist zu beobachten, dass Ausdrucksweisen aus der gesprochenen Sprache verstärkt Einzug in den schriftlichen Sprachgebrauch halten. Das hängt damit zusammen, dass es in der Internet- und SMS-Kommunikation möglich ist, schriftliche Nachrichten in kürzester Zeit auszutauschen und sich so bei den Schreibern schnell der Eindruck eines Dialogs einstellt. Wenn beispielsweise in einer E-Mail eine Frage gestellt wird, dann kann der Empfänger, sofern er online ist, unmittelbar darauf antworten. Das führt dazu, dass er möglicherweise, wie in einem Gespräch auch, nicht in ganzen Sätzen schreibt, sondern lediglich die erwünschte Information gibt (z.B. Frage-E-Mail um 11.30 Uhr: Wann gehen wir heute essen? – Antwort-E-Mail um 11.32 Uhr: Um 12).
Solche Äusserungen kommen auch im Chat vor. Hier müssen, anders als bei der E-Mail-Korrespondenz, beide Kommunikationspartner online sein, damit eine Unterhaltung (= Chat) zustande kommt. Das wiederum ermöglicht, dass die Nachrichten sehr schnell hin- und herwechseln und die Kommunikation auf diese Weise praktisch in Echtzeit stattfindet. Solche Tastatur-Gespräche gleichen mündlichen Gesprächen. Und das wiederum zeigt sich sowohl auf der grammatischen als auch auf der lexikalischen Ebene, aber auch in der Tatsache, dass die Texte oft in Dialekt verfasst sind.
Schauen wir noch kurz auf die Orthographie: Satzzeichen werden ausgelassen, Substantive werden kleingeschrieben, Smileys gesetzt, Buchstaben wiederholt (vgl. wie schaaade), englische Wörter in lautnaher Schreibung wiedergegeben (vgl. kul), Ausrufe- und Fragezeichen aneinandergereiht (vgl. super!!!!). Viele dieser Merkmale sind nicht neu; in Tagebuchtexten, Schülerzettelchen oder Postkarten an gute Freunde kamen sie früher schon vor. Oft verfolgen solche Fehlschreibungen auch einen bestimmten Zweck: Was z.B. im Gespräch durch die Satzmelodie oder die Mimik zum Ausdruck gebracht werden kann, kann im Geschriebenen mit graphischen Mitteln, z.B. dem Aneinanderreihen von Fragezeichen, dargestellt werden.
Damit kommen wir zu einem an der Universität Zürich durchgeführten Forschungsprojekt, das die Frage klären sollte, ob sich solche Merkmale auch in Schülertexten finden. Die Datenerhebung wurde an Sekundar-, Kantons- und Berufsschulen durchgeführt. Am Ende des Projekts ergab sich ein klares Bild: Die Texte wiesen zwar eine sehr große Variationsbreite im Schreiben auf, aber keineswegs war es so, dass sich der sog. „Freizeitstil” in den Schultexten widerspiegelte. So ergab eine Auszählung von 350 Texten aus dem Korpus, verteilt über alle drei Schultypen, dass keine einzige Verbform vom Typus *freu* oder *grins* vorkommt. Was Smileys betrifft, sah der Befund ähnlich aus: In den 350 eigens daraufhin durchgesehenen Schultexten gab es nur fünf solcher Beispiele.
Es zeigt sich also, dass diese Elemente in den Schultexten keine nennenswerte Rolle spielen – eben weil sie besonders ins Auge fallen und die Schüler wissen, dass solche Formen in einem Schultext nicht angemessen sind. Und auch was die zahlreichen orthographischen Merkmale betrifft, die charakteristisch für das Schreiben im Internet sind (z.B. die durchgängige Kleinschreibung von Substantiven): Sie kommen in den Deutschaufsätzen nicht vor. Doch auch wenn dem so ist: Man sollte bei den Schülern das Bewusstsein dafür schärfen, dass es verschiedene Schreibwelten gibt: das private Schreiben in den neuen Medien und das Schreiben in der Schule.